Noch heute ist sichtbar, wie stolz die Göteborger Autobauer auf ihr Spitzenmodell Waren: Eine Chrom-Krone prangt an der
C-Säule - bei den Protypen waren es drei gewesen. Aber so weit mochten die Volvo-Gestalter bei aller Königstreue doch nicht
gehen.
Daß die Aura des Bertone-Coupés ihre Strahlkraft nicht verloren hat, bestätigt Dirk Pütter, der ein Volvo-Autohaus in
Schwerte und ein goldfarbenes 262 Coupé des Baujahres 1980 besitzt. "Wenn er im Schauraum parkt zieht er so viele
Interessenten an wie der moderne C 70" sagt der 33jährige Kfz-Meister. Von aktuellen Nachfolger des 262 trennt sich Pütter
ganz gern, sein 18jähriges Coupés, von dessen Karosserie nur der leergeräumte Fahrgastraum überig war. An Heck und
Vorderwagen bleiben nur noch die Längsträger an Ihrem Platz.
"Es war purer Wahnsinn,"
seuft der 33jährige und ist für einen kurzen Moment nur der jugendliche Fan, der sich in die seltsamen Linien des 262
verliebte. Als Volvo-Händler fügt er aber hinzu, daß die Rostaufbrüche durchaus verzeihlich waren: Der Tacho hatte
450.000 Kilometer gezählt, als Pütter seinen 262 Bertone Kaufte.
Da steht er, nach über zwei Restaurierungsjahren, und lockt mit dem Charme der zwei Seelen. Es ist seine Silhouette, die wie
ein Attentat auf die klassischen Gesetze des Automobildesigns wirkt: So wenig Abstand zwischen einem flachen Dach und einem
massigen Karosserie-Körper hatte es seit dem Opel Rekord Coupé der frühen sechziger Jahre nicht mehr gegeben.
Als das 262 Coupé im März 1977 auf dem Genfer Salon debütierte, stand der SportwagenBauer Peter Monteverdi ganz vorne an,
um seine ätzende Kritik loszuwerden: "Mir ist völlig unklar, wie man ein stilistisch derart verunglücktes Gebilde entwerfen
kann." Subtilere Kritiker vermuteten, daß das feuchte Tonmodell des Autos aus Versehen auf das Dach gefallen sein könnte.
Volvo unterstrich diesen Eindruck mit einem klassichen ZubehörFeature der Siebziger Jahre: Wie zum Trotz trugen die ersten
ein schwarz genarbtes Vynyldach zur einzigen Lackfarbe, die anfangs lieferbar war - Silbermetallic.
Sein strenger Chic blieb dem Spitzenmodell auch in jener zweiten Serie erhalten, aus der das goldbarene Pütter-Coupé stammt.
Bis zum heutigen Tag entzieht sich der Stil des 262 allen bürgerlichen Bewertungnormen: Siene Eleganz wirkt verwirrend,
Vergleiche mit Rivalen zerfasern in Vergeblichkeit. Er ist ein Auto wie eine hübsche, melancholische Frau mit hohen
Wagengenknochen, die wenig redet und nie lacht.
Das Armaturenbrett der Coupés kam aus den
264es Limosinen, ein Holzlenkrad bot
Volvo zu Beginn der achtiger Jahre
als Zubehör an.
Selbst seinen eigenen Designer machte das Auto anfangs ratlos.
"Ich war über das Aussehen erschrocken, als ich den ersten fertigen Prototypen sah", gestand Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard
später dem amerikanischen Motorjournlisten Graham Robson.
Wilsgaard hatte 1974 den Autrag bekommen ,einen Volvo 164
zum Coupé umzuarbeiten. Offenbar war dem Designer und studierten Bildhauer sein Job zu pikant: Er schickte das Basis-Auto
mit ein paar Skizzen an der Turiner Prototypenbauer Sergio Coggiola. Der Feinblechner stellte den Kontakt zwischen Volvo
und Bertone her, dessen Werk die Montage des Coupés übernahm.
Volvo hatte keine Kleinserien-Kapazitäten, forderte vor Serienanlauf aber den kompletten Umbau der Bertone-Lackiererei:
"Das kam Fiat zugute", sagte Wilsgaard später. "Zuerst mochte man uns nicht". Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem
Bertone-Coupé: Viele vergrätzte es mit seiner allzu sichtbaren Abstimmung von der drögen 240/260-Serie. Die Liebhaber
sehnten sich den grazilen Vorgänger zurück, dermit dem Modellcode P 1800 ES und dem Spitznamen "Schneewittchensarg" ein Stück
Sportwagen-Geschichte schrieb. Und trotzdem ließen sich die kantigen Neuzeit-Coupés in achtbaren Stückzahlen absetzen:
6622 Exemplare waren es bis zum Produktionsstopp im Sommer 1981.
Die meisten von ihnen verbrachten ein sonnenverwöhntes Leben zwischen weißen Villen und kalifornischen Palmen, nur wenige
wurden in schweden verkauft. Die deutschen Exemplare - es waren etwa 200 - kettete ein Preis von fast 40 000 Mark in den
Schauräumen fest. Nur wenige Kunden begriffen, daß der 262 Vertone seine Qualitäten im Inneren verbarg.
Der Genuß beginnt, wenn die Diskussionen über das Design verstummt sind: mit dem Zuziehen der massiven Fahrertür.
Das Detail-Finish und die Qualität der verarbeiteten Materialien nehmen es mit den edelsten Manufakturen jener Zeit auf.
Gegen die lederne Prachtenfaltung eines Bertone-Volvo erscheint selbst ein gleich alter S-KLass-Mercedes wie im Linienbus.
Besonderes wohlgefühl vermitteln ausgerechnet die hinteren Sitzplätze des Coupés. Durch das Niederige Dach und die kleinen
Fenster wirkt der Volvo-Fond intim und ein wenig schummrig wie ein Séparée, während sich der Faltenwurf des Leders und die
Gediegenheit eines Gutsherrenzimmers bemühen. Mit Phantasie verwandelt sich das Murmeln des V6 dann in das dezente Zischeln
und Prasseln eines Kaminfeuers. Eigentlich hätte es zu Beginn der Siebziger ein Achtzylinder werden sollen, den Volvo
gemeinsam mit Peugot und Renault entwickelte.
Aber als die Energiekrise kam, blieb nur der V8-typische Zylinderwinckel
von 90 Grad.
Es ist ein Motor von Gutem Durst und gepflegter Aussprache, und obwohl er bis heute in französischen Venturi-Sportwagen
arbeitet Scheint er sich mit der Borg-Warner_automatik des 262 glücklich zu fühlen. Die softe Schaltbox, das eckige
Handling und die hintere Starachse verhindern, daß der Fahrer die mangelende Seitenfürung seiner Ledersessel bemerkt.
Das einstige Topmodell kann nicht aus seiner Haut: Er gehört noch zu den Volvo, die in ihrem Erbgut gefangen sind.
Er ist nicht wirklich schön, er ist nicht richtig Schnell. Und er wehrt sich gegen jeden Versuch, sich spontan in ihn zu
verlieben. Was aber passiert, wenn es gefunkt hat berichtet Dirk Pütter.
Der Besitzer einer Nachtbar wurde in seinem Schauraum vorstelling und bot ihm 100.000 Mark für sein Coupé - cash.
Für Pütter war Liebe nur ein Wort: "Nein"