Als herbe Schönheit mit gekapptem Dach und massivem KarrosserieKörper war das Bertone-Coupé umstritten
Seine wahren Qualitäten hielt es unter Verschluß Keiner der Rivalen bot ein ähnlich stilvolles Interieur.

DER GOLDENE SCHNITT


Touring


Das britische Fachblatt "Car" goß das Drama in drei Sätze. Sie waren lakonisch wie das Objekt ihrer Betrachtung: "Pro: Gebaut wie ein Panzer. Contra: Sieht aus wie ein Panzer. Fazit: Färht wie ein Panzer."
Das Image der Marke Volvo markierte vor reichlich zwei Dekaden den Kältepol automobiler Leidenschaft. Die Intellektuellen-Viertel Amerikas glichen damals zwar Volvo-Plantagen, und auch in Deutschland war der Besitz der schwerblütchtigen Limousinen politisch korrekt wie ein SPD-Parteibuch und Studium der Sozialpädagogik. Für durchgefärbte Gegner war ein Volvo aber auch ähnlich humorlos.
Interieur
In den Augen der Auto-Feinschmecker konkurrierten die Armaturenbretter jener Dekade mit der Tristesse sozialistischer Plattenbau-Fassaden, und die Sitze bedeckte ein Tweedstoff mit der feinen Struktur von Sackleinen. Wer vergaß, in einem Volvo den Gurt anzulegen, den erinnerte das entnervende Heimatland seines Autos - jene Nation, deren Bürger ihren Wein in Staatlich kontrollierten Apotheken kaufen müssen, mit Laufzetteln wie auf dem Amtsgericht. Ein Volvo war der Waldorfschüler unter den Automobilen. Was muß es für ein Schock gewesen sein, wenn sich typische Volvo-Kunden jener Jahre zufällig in ein 262 Coupé verirrten:
Die Fahrmaschine des Bildungsbürgerturms hatte sich in einen Hort dekadenter Prachtentfaltung verwandelt. Statt sprödem Kunststoff gab es Türverkleidungen mit breiten Wurzelholz-Leisten, statt des kratzigen Tweed spannte sich schwarzes Raffleder über die Sessel. Selbst die Haltegriffe über den Seitenfenster hatte ein akkurater Sattler mit gegerbter Tierhaut überzogen und mit einem fein durchbrochenen Schmuckband verziert. Es gab eine Klimaanlage und elektriche Fensterheber, einen seidigen Sechszylinder-Motor und ein automatisches Getriebe. Jeder freie Zentimeter der Mittelkonsole war mit Zusatz-Tasten und -Schaltern belegt. Nie zuvor hatte sich Volvo so weit in die Oberklasse gewagt.








1krone 3kronen

Noch heute ist sichtbar, wie stolz die Göteborger Autobauer auf ihr Spitzenmodell Waren: Eine Chrom-Krone prangt an der C-Säule - bei den Protypen waren es drei gewesen. Aber so weit mochten die Volvo-Gestalter bei aller Königstreue doch nicht gehen.



Daß die Aura des Bertone-Coupés ihre Strahlkraft nicht verloren hat, bestätigt Dirk Pütter, der ein Volvo-Autohaus in Schwerte und ein goldfarbenes 262 Coupé des Baujahres 1980 besitzt. "Wenn er im Schauraum parkt zieht er so viele Interessenten an wie der moderne C 70" sagt der 33jährige Kfz-Meister. Von aktuellen Nachfolger des 262 trennt sich Pütter ganz gern, sein 18jähriges Coupés, von dessen Karosserie nur der leergeräumte Fahrgastraum überig war. An Heck und Vorderwagen bleiben nur noch die Längsträger an Ihrem Platz.

"Es war purer Wahnsinn,"

Chrom-Krone C-Säule seuft der 33jährige und ist für einen kurzen Moment nur der jugendliche Fan, der sich in die seltsamen Linien des 262 verliebte. Als Volvo-Händler fügt er aber hinzu, daß die Rostaufbrüche durchaus verzeihlich waren: Der Tacho hatte 450.000 Kilometer gezählt, als Pütter seinen 262 Bertone Kaufte.
Da steht er, nach über zwei Restaurierungsjahren, und lockt mit dem Charme der zwei Seelen. Es ist seine Silhouette, die wie ein Attentat auf die klassischen Gesetze des Automobildesigns wirkt: So wenig Abstand zwischen einem flachen Dach und einem massigen Karosserie-Körper hatte es seit dem Opel Rekord Coupé der frühen sechziger Jahre nicht mehr gegeben.
Als das 262 Coupé im März 1977 auf dem Genfer Salon debütierte, stand der SportwagenBauer Peter Monteverdi ganz vorne an, um seine ätzende Kritik loszuwerden: "Mir ist völlig unklar, wie man ein stilistisch derart verunglücktes Gebilde entwerfen kann." Subtilere Kritiker vermuteten, daß das feuchte Tonmodell des Autos aus Versehen auf das Dach gefallen sein könnte.
Volvo unterstrich diesen Eindruck mit einem klassichen ZubehörFeature der Siebziger Jahre: Wie zum Trotz trugen die ersten ein schwarz genarbtes Vynyldach zur einzigen Lackfarbe, die anfangs lieferbar war - Silbermetallic.
Sein strenger Chic blieb dem Spitzenmodell auch in jener zweiten Serie erhalten, aus der das goldbarene Pütter-Coupé stammt. Bis zum heutigen Tag entzieht sich der Stil des 262 allen bürgerlichen Bewertungnormen: Siene Eleganz wirkt verwirrend, Vergleiche mit Rivalen zerfasern in Vergeblichkeit. Er ist ein Auto wie eine hübsche, melancholische Frau mit hohen Wagengenknochen, die wenig redet und nie lacht. Armaturenbrett











Das Armaturenbrett der Coupés kam aus den
264es Limosinen, ein Holzlenkrad bot
Volvo zu Beginn der achtiger Jahre
als Zubehör an.

Selbst seinen eigenen Designer machte das Auto anfangs ratlos.

"Ich war über das Aussehen erschrocken, als ich den ersten fertigen Prototypen sah", gestand Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard später dem amerikanischen Motorjournlisten Graham Robson.

Wilsgaard hatte 1974 den Autrag bekommen ,einen Volvo 164 zum Coupé umzuarbeiten. Offenbar war dem Designer und studierten Bildhauer sein Job zu pikant: Er schickte das Basis-Auto mit ein paar Skizzen an der Turiner Prototypenbauer Sergio Coggiola. Der Feinblechner stellte den Kontakt zwischen Volvo und Bertone her, dessen Werk die Montage des Coupés übernahm.
Volvo hatte keine Kleinserien-Kapazitäten, forderte vor Serienanlauf aber den kompletten Umbau der Bertone-Lackiererei: Rallye-instrumente

"Das kam Fiat zugute", sagte Wilsgaard später. "Zuerst mochte man uns nicht". Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem Bertone-Coupé: Viele vergrätzte es mit seiner allzu sichtbaren Abstimmung von der drögen 240/260-Serie. Die Liebhaber sehnten sich den grazilen Vorgänger zurück, dermit dem Modellcode P 1800 ES und dem Spitznamen "Schneewittchensarg" ein Stück Sportwagen-Geschichte schrieb. Und trotzdem ließen sich die kantigen Neuzeit-Coupés in achtbaren Stückzahlen absetzen: 6622 Exemplare waren es bis zum Produktionsstopp im Sommer 1981.



Türgriff






Die meisten von ihnen verbrachten ein sonnenverwöhntes Leben zwischen weißen Villen und kalifornischen Palmen, nur wenige wurden in schweden verkauft. Die deutschen Exemplare - es waren etwa 200 - kettete ein Preis von fast 40 000 Mark in den Schauräumen fest. Nur wenige Kunden begriffen, daß der 262 Vertone seine Qualitäten im Inneren verbarg. Der Genuß beginnt, wenn die Diskussionen über das Design verstummt sind: mit dem Zuziehen der massiven Fahrertür.
Das Detail-Finish und die Qualität der verarbeiteten Materialien nehmen es mit den edelsten Manufakturen jener Zeit auf. Gegen die lederne Prachtenfaltung eines Bertone-Volvo erscheint selbst ein gleich alter S-KLass-Mercedes wie im Linienbus. Besonderes wohlgefühl vermitteln ausgerechnet die hinteren Sitzplätze des Coupés. Durch das Niederige Dach und die kleinen Fenster wirkt der Volvo-Fond intim und ein wenig schummrig wie ein Séparée, während sich der Faltenwurf des Leders und die Gediegenheit eines Gutsherrenzimmers bemühen. Mit Phantasie verwandelt sich das Murmeln des V6 dann in das dezente Zischeln und Prasseln eines Kaminfeuers. Eigentlich hätte es zu Beginn der Siebziger ein Achtzylinder werden sollen, den Volvo gemeinsam mit Peugot und Renault entwickelte.
Aber als die Energiekrise kam, blieb nur der V8-typische Zylinderwinckel von 90 Grad.
Der Euro PVR V6








Es ist ein Motor von Gutem Durst und gepflegter Aussprache, und obwohl er bis heute in französischen Venturi-Sportwagen arbeitet Scheint er sich mit der Borg-Warner_automatik des 262 glücklich zu fühlen. Die softe Schaltbox, das eckige Handling und die hintere Starachse verhindern, daß der Fahrer die mangelende Seitenfürung seiner Ledersessel bemerkt. Das einstige Topmodell kann nicht aus seiner Haut: Er gehört noch zu den Volvo, die in ihrem Erbgut gefangen sind. Er ist nicht wirklich schön, er ist nicht richtig Schnell. Und er wehrt sich gegen jeden Versuch, sich spontan in ihn zu verlieben. Was aber passiert, wenn es gefunkt hat berichtet Dirk Pütter. Der Besitzer einer Nachtbar wurde in seinem Schauraum vorstelling und bot ihm 100.000 Mark für sein Coupé - cash. Für Pütter war Liebe nur ein Wort: "Nein"



Fahren


text von Christian Steiger
Fotos Jooß Motor Klassik september 1998.

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